Wir waren im Sommer oft im Wald draussen, ist ja bei uns nichts aussergewöhnliches sozusagen. "Wir", Das waren mein jüngerer Bruder und meine jüngere Schwester - die anderen Geschwister waren noch nicht da - und unsere Mutter. Unser Vater war Wochenpendler und unter der Woche nicht da. Dann war oft noch die scheinheilige Nachbarin dabei mit ihren drei verzogenen Gören, die von der Altersstruktur mit uns zu vergleichen waren. Deren Vater war auch Wochenpendler.
Draussen im Wald begannen dann unsere Spiele: Wir versteckten uns hinter dicken Bäumen und Felsen und bewarfen uns mit "Budlkej" und Moosfetzen. Budlkej ("Butzelkühe") sind Fichten- Tannen- und Kiefernzapfen. Mal "kämpften" die Buben gegen die Mädchen, mal die Familie S... gegen die Familie B... Eigentlich ein Wunder, dass da die Mütter ruhig zugesehen haben und dass nie jemand getroffen wurde. Dass ein Budlkej-Treffer gegebenenfalls weh tun kann, fiel mir gar nicht ein, für uns war das nur eine Schneeballschlacht mit anderen Mitteln.
Wir erkundeten auch die nähere Umgebung, immer in Sichtweite oder wenigstens Hörweite der Mütter. Erstaunlich, was für Krabbeltiere, geheimnisvolle Pflanzen, Spuren "großer" Tiere oder deren Hinterlassenschaften wir da sahen. Hier stimmt
nicht der Spruch vom Wald, den man vor lauter Bäumen nicht sieht; ganz im Gegenteil, jeder Baum oder jeder Schwammer hatte sozusagen eine eigene Persönlichkeit und
alles zusammen war "der Wald".
Wir kletterten auch gerne auf den Felsen herum, was nicht ungefährlich war. Diese Felsen waren oft ganze Gruppen, denen wir auch zutreffende (!) Namen gaben: die Hexenhöhle, weil da drinnen 100%ig eine Hexe hauste oder die Burg, wegen eines "eckigen" Felsens der an eine Burgzinne erinnerte. Diese Felsengruppen schienen uns riesige Berge zu sein. Wenn ich heute gelegentlich zum Holzmachen hinauskomme, kenne ich sie fast nicht mehr wieder: Erstens sind sie von überschaubarer Größe, wenn auch immer noch eindrucksvoll, und sie sind zugewachsen von 30jährigen und älteren Büschen und Bäumen. Die Hexenhöhle finde ich einfach nicht mehr.
Interessant fand ich auch die Kontraste im Wald: etwa die "stehende" Hitze in einer Lichtung und wenige Meter weiter wieder die angenehme schattige Kühle unter dem baumbestandenen Waldweg. Die geheimnisvollen Geräusche von überallher. Die Luft , die hier angenehm harzig roch und dort sumpfig-muffig. Dann die Farben des Lichts: alle Schattierungen von Grün, je nach Laub- oder Nadelbäumen, von heiter bis duster, von Gelbgrün bis Blaugrün. Unheimlich fand ich die Fichtenmonokulturen, die überall zu finden waren: ein rötliches Dunkelbraun, ohne Laubblätter, und der Boden war mit braunen Nadeln bedeckt.
Am Wochenende hatte mein Vater immer sehr viel zu tun, aber zumindest gelegentlich an einem sonnigen Sonntag ging er auch mit hinaus. Wir suchten dann Schwammer, brockten "Hoiwa" (Heidelbeeren) in eine Milchkanne, verspeisten Walderdbeeren und Himbeeren an Ort und Stelle und kamen erst am frühen Abend zurück. Dann wurden wir Kinder zunächst von der Mutter in die Wanne gesteckt und gründlich gereinigt.
Oh, wie ich das hasste. Dann durften wir uns an den
Tisch setzen und es gab die gefundenen Pilze mit
Ei überbraten zu essen, oder die Hoiwa mit Zucker und Milch, oder einen "Hoiwawackn", die Heidelbeeren mit Pfannkuchenteig herausgebacken. Davon wurden die Lippen und die
Zähne immer so blau. Und Fuchsbandwurm? Den kannte damals keiner.
Der Vollständigkeit halber erwähne ich noch, dass wir alles zu Fuß gingen. Von zu Hause bis zum Waldrand war schon eine halbe Stunde, dann stundenlang im Wald, dann nochmal eine halbe Stunde (oder länger) zurück. Kein
AutoBearbeitet von Onkel Robert am 13.07.2008 19:30:56