Zitat (Krötilla @ 09.02.2008 09:44:03) |
:wub: Silent, das war ein ganz toller Bericht! |
Danke! :)
Zitat (Krötilla @ 09.02.2008 09:44:03) |
:Und gerade der Abschnitt, den ich gequotet habe, find ich ganz wichtig und leider ganz anders als heute...
:blumen: |
Du hast recht, heute ist es oft so, dass viele Leute mehr vorgeben, als sie tatsächlich haben. Andere lassen sich ihren tatsächlichen oder vermeintlichen Reichtum raushängen, dass es einemm anwidert und das Geld wird leider oft einfach zum Fenster hinausgeworfen, auch von denen, die es sich im Grunde gar nicht leisten können. Viele wollen um jeden Preis mithalten mit denen, die besser gestellt sind, nur ja nicht zugeben, dass man weniger hat und eigentlich mit dem Pfennig rechnen muß. Ich mach das übrigens heute noch so, dass ich nur in Ausnahmefällen etwas wegwerfe, ist mir einfach in Fleisch und Blut übergegangen.
Ich muß jetzt doch noch über den "Prager Frühling" schreiben, weil er so gut zum Thema passt.
Im Sommer des Jahres 1968, ich hatte gerade meinen 11. Geburtstag hinter mir, liefen in allen Familien praktisch rund um die Uhr die Radios und immer wieder hörte man Wörter wie „Warschauer Pakt“, „Alexander Dubcec“, „CSSR“ usw. Jedes Mal, wenn diese Wörter fielen, und das war wirklich oft in jenen Tagen, wurden die Radios lauter gestellt und wir Kinder wurden zum Schweigen aufgefordert.
Und dann eines Morgens, es war der 21. August, hörte man in der ganzen Stadt nur noch einen einzigen Satz: „Der Russe steht an der Grenze“.
Schon früher hatten wir Gespreächsfetzen der Erwachsenen aufgeschnappt und dabei die Bezeichnung "der Russe", stets mit angsvollem, auch zornigem Unterton gesprochen. Wir Kindeer konnten uns nichts darunter vorstellen, dennoch verspürten auch wir eine ganz eigenartige Gänsehaut, wenn die Erwachsenen darüber sprachen. Oft kam das nicht vor und wenn wir Kinder unverhofft erschienen, brachen diese Gespräche ohnehin ab. Aber dass "der Russe" etwas ganz schreckliches sein musste, das ahnten wir schon im Kindergartenalter. Sogar mein Opa, als gelernter Metzger während des Krieges zum Koch "befördert" und ein Mensch, der so gut wie alle Dinge mit einem Augenzwinkern betrachtete, verging dieses Augenzwinkern wenn "der Russe" ins Spiel kam. Er hatte einst den Frankreich- und den Russlandfeldzug mitgemacht und während er von Ersterem ab und zu mal kleine Anekdoten erzählte, versteinerte er bei "der Russe" praktisch augenblicklich und verlor nicht ein einziges Wort darüber.
Und nun stand er an der Grenze, dieser Russec der Russe, von dem man schon soviel und doch im Grunde gar nichts gehört hatte. Aber was hieß das, er steht an der Grenze? Steht er einfach da und schaut rüber auf unser schönes Bayern? Und warum stand er da, in der Tschechei war doch angeblich „nichts.“
Jedenfalls wurde uns das immer so erklärt, wenn wir nach der Tschechei fragten und das taten wir oft, wir lebten ja unmittelbar an der Grenze und wurden angehalten, beim Spielen auf den Wiesen und im Wald unbedingt auf die Grenzpfähle zu achten. Auch die Wachtürme mit tschechischen Soldaten waren uns ein sattsam bekannter Anblick. Wollten wir aber wissen, was das nun eigentlich war, diese geheimnisvolle Tschechei dann lautete die lapidare Antwort: „Dort ist nichts mehr“.
Später erfuhr ich, dass mit „nichts“ die ehemals von Deutschen bewohnten Dörfer gemeint waren, die nach Krieg und Vertreibung ausnahmslos dem Erdbogen gleichgemacht worden waren. So ganz stimmte das aber nicht, wie sich nach der Öffnung der Grenze im Januar 1990 herausstellte. Ein paar der Dörfer standen noch, waren nun aber allesamt von Tschechen, Zigeunern oder Vietnamesen bewohnt und bestanden größtenteils aus Ruinen.
Als Kind war dieses „Nichts“ für mich wirklich nichts. Ich stellte mir nach dem Wald, der war ja nun nicht wegzuleugnen, eine riesige, völlig kahle Betonplatte vor über die man einfach drüberging und immer weiter und weiterging. Irgendwo, ganz weit dahinter, musste dann Amerika sein, denn das war ja ganz, ganz weit weg (das wusste ich von den Kindern, deren Väter "ganz, ganz weit weig" waren) und hatte man auch das durchquert, fiel man einfach runter ins Nirgendwo. Ich war wohl nicht gerade sehr hell im Kopf. :pfeifen:
Ich begriff auch nicht, weshalb "nichts" bewacht werden musste und das wurde es und zwar sehr streng.
Und nun stand also „der Russe“ an der Grenze und ließ die Leute in der Stadt den Atem anhalten. Wenn man ihn mal sehen könnte, diesen Russen, vielleicht könnte man dann verstehen.
Wir fragte, ob wir an die Grenze durften. Mein Bruder, mittlerweile 15 bekam die Erlaubnis, ich nicht! Das fand ich ausgesprochen ungerecht und widersetze mich dem Verbot meines Vaters. Dies brachte mir später, wie bereits gesagt, die erste und einzige Ohrfeige ein, die ich je von meinem Vater bekommen hatte. Erfahren hatte er es nur, weil mein feiner Herr Bruder natürlich gepetzt hatte.
Ich ärgerte mich, vor allem deswegen, weil ich fand, dass mein verbotener Ausflug sich überhaupt nicht gelohnt hatte. Da standen russische, statt tschechische Panzer am Schlagbaum, auf deutscher Seite waren es nicht nur vereinzelte, sondern massenhaft amerikanische, und auf den Wachtürmen standen Russen, statt Tschechen, die Gewehre schussbereit in der Hand. Bis auf die Tatsache, dass es eben nicht nur ein Russe, sondern mehrere waren, fand ich das alles ziemlich langweilig.
Erst ein paar Jahre später begriff ich, was mit dem „Prager Frühling“ gemeint war und wie nahe die Welt an einem neuen Krieg gestanden hatte.
Jetzt fällt mir noch was zum Spielen ein. Aber das ist schon wieder soviel, dass es ein Extrakapitel wäre.