Hallo!
Nur eine kleine Warnung vorweg: Es ist wirklich viel zu lesen, ein halber Roman.
Aber dafür ist jedes Wort davon wahr und heute morgen selbst erlebt. :)
Und noch eines: Den Angestellten der Arbeitsagentur mache ich gar keinen Vorwurf. Die meisten Menschen, mit denen ich dort zu tun habe, sind wirklich super-nett, engagiert, bemüht... (auch wenn es dort, wie wohl überall, auch das eine oder andere schwarze Schaf gibt). Der Fehler liegt nicht bei den einzelnen Menschen, sondern im System... :huh:
Und hier beginnt nun die Geschichte.
Also eigentlich betreue ich ja Jugendliche. Aber manchmal kommen auch die Eltern mancher Jugendlicher zu mir, wenn sie einen Rat brauchen und sie nicht wissen, an wen sie sich wenden sollen.
Heute Vormittag kommt Herr XY, der Vater eines Jugendlichen zu mir. Der bezog bisher ALG II (arbeitete so ca. 2,5 Stunden am Tag, und der Differenzbetrag wurde von der Agentur gezahlt). Herr XY hatte jetzt die Gelegenheit, seine Arbeitszeit auf 32 Stunden pro Woche aufzustocken, und war heute morgen bei der Agentur, weil er seinem Berater von diesem freudigen Ereignis berichten wollte – man ist ja verpflichtet, der Agentur jegliche Veränderung sofort mitzuteilen. Das wollte Herr XY also heute Vormittag tun.
Herr XY kam dann zu mir in die Einrichtung, in der Hand eine Drucksache „Mitteilung über die Zuverdienstgrenzen für Hartz-IV-Empfänger“ vom Oktober 2005 oder so. Diesen Wisch hatte der Berater ihm in die Hand gedrückt, Herr XY solle das durchlesen. Dazu muss man sagen, dass Herr XY nicht ursprünglich aus Deutschland stammt. Er bemüht sich zwar nach Kräften, sich hier einzufügen, aber mit dem Behördendeutsch hapert es eben noch manchmal. Da kommt Herr XY dann immer zu mir und lässt sich von mir alles noch mal genau erklären.
Ich schaue also das Formular an, und stelle fest: Hier geht es darum, wie viel man als ALG-II-Empfänger dazu verdienen darf, und dabei trotzdem noch ALG-II beziehen kann. Dabei wollte Herr XY der Agentur doch pflichtgemäß mitteilen, dass er jetzt fast Vollzeit arbeitet, und dass er wahrscheinlich gar kein ALG-II mehr benötigen wird.
Daraufhin habe ich versucht, unsere örtliche Agentur anzurufen.
Ein Anruf bei der Agentur ist jedes Mal spannend. Man erreicht ja nicht unbedingt immer jemanden. Manchmal ist dauerbesetzt. Manchmal hat man auch Dauerklingeln, ohne dass jemals jemand abnimmt. Manchmal stößt man auch auf eine spannende Bandansage. Und wenn man tatsächlich mal auf Anhieb einen realen Gesprächspartner in die Leitung bekommt, dann ist noch lange nicht gesagt, dass diese reale Person auch in unserer örtlichen Arbeitsagentur sitzt. Manchmal landet man nämlich auch in einem sogenannten „Service-Zentrum“ der Agentur, irgendwo am anderen Ende unserer schönen Republik.
Auf jeden Fall wählte ich dann heute Vormittag noch ganz optimistisch die Nummer unserer Arbeitsagentur hier vor Ort. Es kam eine Bandansage, allerdings aber eine Ansage, die ich bisher noch nicht kannte. Spannend. Zuerst wurde ich von der freundlichen Computerstimme gebeten, entweder eine (1) (weiß nicht mehr wofür) oder eine (2) (für Auskünfte zum Arbeitslosengeld) einzutippen, je nachdem was mein Anliegen sei. Brav tippte ich die (2) ein, da ich ja eine Frage zum Arbeitslosengeld hatte. Nun kam eine weitere Bandansage: „Bitte geben Sie Ihre fünfstellige Postleitzahl ein“. – Ich tippe ein... 12345
„Es tut uns leid, wir konnten Ihre Eingabe leider nicht zuordnen. Bitte geben Sie Ihre fünfstellige Postleitzahl ein“. – Nochmal tippe ich ein: 12345
Wiederum: „Es tut uns leid, wir konnten Ihre Eingabe leider nicht zuordnen. Bitte geben Sie Ihre fünfstellige Postleitzahl ein.“
Ich hole tief Luft und tippe zum dritten Mal: ... 12345
Irgendwas habe ich dieses Mal anscheinend richtig gemacht. Ich bekomme nämlich eine Ansage: „Es tut uns leid, leider können wir keine Auskünfte zum Arbeitslosengeld mehr geben. Bitte wenden Sie sich an Ihre örtliche Arbeitsvermittlung, an die ARGE oder an Ihr Jobcenter. Auf Wiederhören.“
Regt man sich darüber auf? Eigentlich nicht mehr. Das war ja nicht das erste kafkaeske Telefonat, das ich mit der Agentur (bzw. mit dem Telefoncomputer der Agentur) geführt habe. Stattdessen nehme ich das örtliche Telefonbuch 2006 / 2007 zur Hand (die Nummer der Agentur hier vor Ort kenne ich auswendig, die Nummer des Jobcenters aber nicht). Unter dem Eintrag „Arbeitsagentur“ habe ich jetzt noch zwei Stellen zur Auswahl, und als erstes wähle ich die Nummer der ARGE (= Jobcenter). Es kommt eine Bandansage, die mir mitteilt, dass ich leider außerhalb der Öffnungszeiten anrufe. Klar, inzwischen ist es ja auch schon 11.30 Uhr am Vormittag, das ist natürlich auch ein bisschen arg spät für einen Donnerstag. Die nächste Gelegenheit, die ARGE telefonisch zu erreichen, habe ich am Freitag von 7.30 bis 11.00 Uhr.
Aber ich verzage nicht, denn es gibt ja noch eine dritte Nummer zur Auswahl: „Arbeitsvermittlung und Arbeitslosengeld“, und bei Herrn XY geht es ja schließlich ums Arbeitslosengeld. Ich wähle also die Nummer, und kriege: „tüt-tüt-tüüüüüt... kein Anschluss unter dieser Nummer.“ Häh? Naja, vielleicht habe ich mich verwählt. Kann ja mal passieren. Also noch mal die Nummer. Und noch mal: „Tüt-tüt-tüüüüüüt... kein Anschluss unter dieser Nummer.“
Ich kratze mich am Kopf, schaue mir die Nummer genauer an... was mich stutzig macht: Da steht eine Vorwahl, und zwar die Vorwahl unserer 20 km entfernten Kreisstadt (wo der Hauptsitz „unserer“ Agentur ist. Die örtliche Agentur ist ja lediglich eine Zweigstelle.) Und nach der Vorwahl der Kreisstadt steht eine Durchwahlnummer unserer örtlichen Agentur (da ich auch schon öfter mit der Agentur in der Kreisstadt telefoniert habe, weiß ich, dass die eine völlig andere Durchwahlnummer haben).
Versuch macht klug, also lasse ich einfach mal die Vorwahlnummer der Kreisstadt weg und wähle bloß die Durchwahl.
Volltreffer.
Es klingelt.
Jemand hebt ab.
Eine nette Frauenstimme meldet sich und fragt mich, was sie für mich tun kann. Ein realer Mensch. Ich kann mein Glück kaum fassen.
Trotzdem. Ich atme tief durch, melde mich und frage: „Darf ich erst mal meinen Kropf leeren?“ (Jaja, nicht sehr professionell, aber mir war irgendwie gerade so danach. Weiß auch nicht warum)
Die Frau lacht und meint, dass ich natürlich meinen Kropf leeren darf.
Ich erzähle ihr also die Geschichte von Herrn XY, und dass es einfach nicht sein kann, wenn „Kunden“ (ja, die Agentur bezeichnet ihre Bittsteller ganz modern als „Kunden“), also auf jeden Fall, wenn Kunden dann in der Agentur vom Berater mal geschwind so einen Wisch in die Hand gedrückt bekommen, mit dem sie erstens nix anfangen können, und der zweitens auch überhaupt nix mit dem Anliegen und mit der Fragestellung des Kunden zu tun hat.
Die Frau stimmt mir zu.
Ich sage der Frau, dass ich beruflich viel und oft mit der Agentur zu tun habe, und dass ich immer wieder erlebe, dass es dort viele sehr nette, sehr kompetente, sehr engagierte Mitarbeiter gibt, die sich wirklich Mühe geben und so. Aber dass ich leider auch immer mal wieder so was erlebe wie im Fall von Herrn XY. Und dass ich finde, dass das einfach nicht sein kann.
Die Frau stimmt mir zu.
Ich sage der Frau, dass ich für Jugendliche zuständig bin, und dass die Jugendlichen leider immer wieder ihre Eltern mitbringen, weil die mit den komplizierten Anträgen und Formularen nicht zurecht kommen. Dass ich Eltern habe, die leider nicht in der Lage sind, selbst eine Bewerbung zu schreiben. Und dass es einfach nicht sein kann, dass manche Angestellten in der Agentur diese Eltern dann wieder wegschicken, ohne denen dabei zu helfen, diese Anträge oder Formulare auszufüllen... die Frau stimmt mir NICHT zu, und sagt:
„Oh nein, Anträge ausfüllen, das machen wir grundsätzlich nicht. Dafür sind wir nicht zuständig.“ Ich frage die Frau, wer denn dann dafür zuständig ist, wenn die Antragsteller das nicht selbst auf die Reihe bekommen. Die Frau meint, dann müssten die Antragsteller halt zu irgendjemand gehen, der ihnen dabei behilflich sein kann. Ich frage die Frau, wer das denn wohl sein kann, wenn das Problem mancher Leute genau das ist, dass sie nämlich niemand kennen, der ihnen dabei behilflich sein kann... Und die Leute kommen dann halt zu mir, ich bin zwar auch nicht zuständig, aber ich bin ja dann so blöd und schicke keinen weg und so... Ich mach’s dann halt und fülle es mit den Leuten aus, aber das kann’s ja irgendwie auch nicht sein. Die Frau weiß da leider auch keinen Rat, außer, dass ich das vielleicht mal direkt und persönlich mit meiner örtlichen Agentur klären soll. Ich frage sie: „Ach, oh je, ich ging jetzt davon aus, dass Sie von der örtlichen Agentur in Y-Stadt sind. Das sind Sie gar nicht? Sie sitzen in irgendeinem Service-Zentrum ganz wo anders?“ Richtig, die freundliche Frau sitzt in einem Service-Zentrum weit-weit weg, in unserer Landeshauptstadt.
„Sehen Sie“, sage ich zu der Frau, „dann bringt es wahrscheinlich auch nix, wenn ich Ihnen jetzt mitteile, dass meine örtliche Agentur unter einer falschen Nummer im Telefonbuch steht.“ Die Frau meint, „Wie bitte? Das habe ich jetzt nicht ganz verstanden.“ – „Machen Sie sich nichts draus“, meine ich, „vor der Durchwahl der örtlichen Agentur steht die Vorwahl unserer Kreisstadt, und wenn man das so wählt wie es im Telefonbuch steht, dann kriegt man eben kein Anschluss unter dieser Nummer. Aber ich war ja glücklicherweise schlau genug, und habe gemerkt, dass das ein Druckfehler im Telefonbuch sein muss. Sonst könnte ich ja jetzt nicht mit Ihnen telefonieren.“ (Auch schizo, oder? Da lasse ich die Vorwahl weg und lande dann noch weiters weg, in einer ganz, ganz anderen Stadt).
Übrigens kann die Frau mir in der Angelegenheit von Herrn XY natürlich auch nicht weiterhelfen, da muss Herr XY mit seinem Berater von der ARGE vor Ort sprechen.
Daher beenden die Frau und ich unser Telefonat in freundlichem Einvernehmen.
Meine Geduld geht so langsam allerdings doch zur Neige. Außerdem habe ich auch noch andere Dinge zu tun an diesem schönen Donnerstag. Ich schreibe also handschriftlich ein Brieflein folgenden Inhaltes:
„Sehr geehrte Damen und Herren,
Herr XY war vorhin bei Ihnen und wollte Ihnen mitteilen, dass er seit gestern 32 Stunden pro Woche arbeitet. Herr XY braucht also keine „Mitteilung über die Zuverdienstgrenzen“, sondern m.E. braucht Herr XY das Formular ÄNDERUNGSMITTEILUNG und das Formular VERDIENSTBESCHEINIGUNG (Formulare 2.1 und 2.2), wir wollen nämlich vermeiden, dass Herr XY für den Rest des Monats zu Unrecht Leistungen bezieht und nächsten Monat dann Leistungen zurückzahlen muss. Falls Sie noch Fragen haben, erreichen Sie mich unter ......
MfG , usw. usw. Blablabla“
Bissige Kommentare (wovon mir genügend eingefallen wären) habe ich mir verkniffen (irgendwie bin ich dann doch manchmal noch halbwegs professionell).
Das Brieflein habe ich an das Formular „Mitteilung über die Zuverdienstgrenzen“ rangetackert und Herrn XY noch mal zur Agentur geschickt.
15 Minuten später steht Herr XY wieder bei uns vor der Türe, mit den benötigten Formularen.
Na also. GEHT DOCH.
Eher aus Spaß frage ich Herrn XY beiläufig: Und? Haben die Leute bei der Agentur sich entschuldigt?
Herr XY: Wie, entschuldigt?
Ich: Naja, hat der Mann gesagt: Entschuldigung, dass ich Ihnen vorhin das falsche Formular mitgegeben habe, Herr XY?
Herr XY: Nix entschuldigt. Der Mann hat geschimpft.
Ich: Wie, geschimpft?
Herr XY: Der Mann hat gefragt, warum ich so spät komme. Die Agentur hat seit 5 Minuten geschlossen. Und ich soll morgen wiederkommen.
WIE BITTE??????
Also irgendwo ist dann aber auch mal gut, ODER?????
Herr XY blieb aber standhaft und ließ sich nicht abwimmeln, so dass der Angestellte bei der Agentur dann doch noch die drei benötigten Formulare rausrücken musste. Die habe ich dann zusammen mit Herrn XY ausgefüllt, und damit ist dann hoffentlich seiner Meldepflicht Genüge getan.
ACH JA, übrigens, bevor ich das vergessen: Herr XY ist schwer krank. Der müsste per Gesetz eigentlich überhaupt nicht arbeiten. Aber Herr XY ist derart bemüht, sich hier anzupassen und alles richtig zu machen, dass er bloß um alles in der Welt kein Arbeitslosengeld mehr beziehen will, solange er das noch irgendwie auf die Reihe kriegt...
Wahrscheinlich arbeitet er sich jetzt zu Tode...
Nur eine kleine Warnung vorweg: Es ist wirklich viel zu lesen, ein halber Roman.
Aber dafür ist jedes Wort davon wahr und heute morgen selbst erlebt. :)
Und noch eines: Den Angestellten der Arbeitsagentur mache ich gar keinen Vorwurf. Die meisten Menschen, mit denen ich dort zu tun habe, sind wirklich super-nett, engagiert, bemüht... (auch wenn es dort, wie wohl überall, auch das eine oder andere schwarze Schaf gibt). Der Fehler liegt nicht bei den einzelnen Menschen, sondern im System... :huh:
Und hier beginnt nun die Geschichte.
Also eigentlich betreue ich ja Jugendliche. Aber manchmal kommen auch die Eltern mancher Jugendlicher zu mir, wenn sie einen Rat brauchen und sie nicht wissen, an wen sie sich wenden sollen.
Heute Vormittag kommt Herr XY, der Vater eines Jugendlichen zu mir. Der bezog bisher ALG II (arbeitete so ca. 2,5 Stunden am Tag, und der Differenzbetrag wurde von der Agentur gezahlt). Herr XY hatte jetzt die Gelegenheit, seine Arbeitszeit auf 32 Stunden pro Woche aufzustocken, und war heute morgen bei der Agentur, weil er seinem Berater von diesem freudigen Ereignis berichten wollte – man ist ja verpflichtet, der Agentur jegliche Veränderung sofort mitzuteilen. Das wollte Herr XY also heute Vormittag tun.
Herr XY kam dann zu mir in die Einrichtung, in der Hand eine Drucksache „Mitteilung über die Zuverdienstgrenzen für Hartz-IV-Empfänger“ vom Oktober 2005 oder so. Diesen Wisch hatte der Berater ihm in die Hand gedrückt, Herr XY solle das durchlesen. Dazu muss man sagen, dass Herr XY nicht ursprünglich aus Deutschland stammt. Er bemüht sich zwar nach Kräften, sich hier einzufügen, aber mit dem Behördendeutsch hapert es eben noch manchmal. Da kommt Herr XY dann immer zu mir und lässt sich von mir alles noch mal genau erklären.
Ich schaue also das Formular an, und stelle fest: Hier geht es darum, wie viel man als ALG-II-Empfänger dazu verdienen darf, und dabei trotzdem noch ALG-II beziehen kann. Dabei wollte Herr XY der Agentur doch pflichtgemäß mitteilen, dass er jetzt fast Vollzeit arbeitet, und dass er wahrscheinlich gar kein ALG-II mehr benötigen wird.
Daraufhin habe ich versucht, unsere örtliche Agentur anzurufen.
Ein Anruf bei der Agentur ist jedes Mal spannend. Man erreicht ja nicht unbedingt immer jemanden. Manchmal ist dauerbesetzt. Manchmal hat man auch Dauerklingeln, ohne dass jemals jemand abnimmt. Manchmal stößt man auch auf eine spannende Bandansage. Und wenn man tatsächlich mal auf Anhieb einen realen Gesprächspartner in die Leitung bekommt, dann ist noch lange nicht gesagt, dass diese reale Person auch in unserer örtlichen Arbeitsagentur sitzt. Manchmal landet man nämlich auch in einem sogenannten „Service-Zentrum“ der Agentur, irgendwo am anderen Ende unserer schönen Republik.
Auf jeden Fall wählte ich dann heute Vormittag noch ganz optimistisch die Nummer unserer Arbeitsagentur hier vor Ort. Es kam eine Bandansage, allerdings aber eine Ansage, die ich bisher noch nicht kannte. Spannend. Zuerst wurde ich von der freundlichen Computerstimme gebeten, entweder eine (1) (weiß nicht mehr wofür) oder eine (2) (für Auskünfte zum Arbeitslosengeld) einzutippen, je nachdem was mein Anliegen sei. Brav tippte ich die (2) ein, da ich ja eine Frage zum Arbeitslosengeld hatte. Nun kam eine weitere Bandansage: „Bitte geben Sie Ihre fünfstellige Postleitzahl ein“. – Ich tippe ein... 12345
„Es tut uns leid, wir konnten Ihre Eingabe leider nicht zuordnen. Bitte geben Sie Ihre fünfstellige Postleitzahl ein“. – Nochmal tippe ich ein: 12345
Wiederum: „Es tut uns leid, wir konnten Ihre Eingabe leider nicht zuordnen. Bitte geben Sie Ihre fünfstellige Postleitzahl ein.“
Ich hole tief Luft und tippe zum dritten Mal: ... 12345
Irgendwas habe ich dieses Mal anscheinend richtig gemacht. Ich bekomme nämlich eine Ansage: „Es tut uns leid, leider können wir keine Auskünfte zum Arbeitslosengeld mehr geben. Bitte wenden Sie sich an Ihre örtliche Arbeitsvermittlung, an die ARGE oder an Ihr Jobcenter. Auf Wiederhören.“
Regt man sich darüber auf? Eigentlich nicht mehr. Das war ja nicht das erste kafkaeske Telefonat, das ich mit der Agentur (bzw. mit dem Telefoncomputer der Agentur) geführt habe. Stattdessen nehme ich das örtliche Telefonbuch 2006 / 2007 zur Hand (die Nummer der Agentur hier vor Ort kenne ich auswendig, die Nummer des Jobcenters aber nicht). Unter dem Eintrag „Arbeitsagentur“ habe ich jetzt noch zwei Stellen zur Auswahl, und als erstes wähle ich die Nummer der ARGE (= Jobcenter). Es kommt eine Bandansage, die mir mitteilt, dass ich leider außerhalb der Öffnungszeiten anrufe. Klar, inzwischen ist es ja auch schon 11.30 Uhr am Vormittag, das ist natürlich auch ein bisschen arg spät für einen Donnerstag. Die nächste Gelegenheit, die ARGE telefonisch zu erreichen, habe ich am Freitag von 7.30 bis 11.00 Uhr.
Aber ich verzage nicht, denn es gibt ja noch eine dritte Nummer zur Auswahl: „Arbeitsvermittlung und Arbeitslosengeld“, und bei Herrn XY geht es ja schließlich ums Arbeitslosengeld. Ich wähle also die Nummer, und kriege: „tüt-tüt-tüüüüüt... kein Anschluss unter dieser Nummer.“ Häh? Naja, vielleicht habe ich mich verwählt. Kann ja mal passieren. Also noch mal die Nummer. Und noch mal: „Tüt-tüt-tüüüüüüt... kein Anschluss unter dieser Nummer.“
Ich kratze mich am Kopf, schaue mir die Nummer genauer an... was mich stutzig macht: Da steht eine Vorwahl, und zwar die Vorwahl unserer 20 km entfernten Kreisstadt (wo der Hauptsitz „unserer“ Agentur ist. Die örtliche Agentur ist ja lediglich eine Zweigstelle.) Und nach der Vorwahl der Kreisstadt steht eine Durchwahlnummer unserer örtlichen Agentur (da ich auch schon öfter mit der Agentur in der Kreisstadt telefoniert habe, weiß ich, dass die eine völlig andere Durchwahlnummer haben).
Versuch macht klug, also lasse ich einfach mal die Vorwahlnummer der Kreisstadt weg und wähle bloß die Durchwahl.
Volltreffer.
Es klingelt.
Jemand hebt ab.
Eine nette Frauenstimme meldet sich und fragt mich, was sie für mich tun kann. Ein realer Mensch. Ich kann mein Glück kaum fassen.
Trotzdem. Ich atme tief durch, melde mich und frage: „Darf ich erst mal meinen Kropf leeren?“ (Jaja, nicht sehr professionell, aber mir war irgendwie gerade so danach. Weiß auch nicht warum)
Die Frau lacht und meint, dass ich natürlich meinen Kropf leeren darf.
Ich erzähle ihr also die Geschichte von Herrn XY, und dass es einfach nicht sein kann, wenn „Kunden“ (ja, die Agentur bezeichnet ihre Bittsteller ganz modern als „Kunden“), also auf jeden Fall, wenn Kunden dann in der Agentur vom Berater mal geschwind so einen Wisch in die Hand gedrückt bekommen, mit dem sie erstens nix anfangen können, und der zweitens auch überhaupt nix mit dem Anliegen und mit der Fragestellung des Kunden zu tun hat.
Die Frau stimmt mir zu.
Ich sage der Frau, dass ich beruflich viel und oft mit der Agentur zu tun habe, und dass ich immer wieder erlebe, dass es dort viele sehr nette, sehr kompetente, sehr engagierte Mitarbeiter gibt, die sich wirklich Mühe geben und so. Aber dass ich leider auch immer mal wieder so was erlebe wie im Fall von Herrn XY. Und dass ich finde, dass das einfach nicht sein kann.
Die Frau stimmt mir zu.
Ich sage der Frau, dass ich für Jugendliche zuständig bin, und dass die Jugendlichen leider immer wieder ihre Eltern mitbringen, weil die mit den komplizierten Anträgen und Formularen nicht zurecht kommen. Dass ich Eltern habe, die leider nicht in der Lage sind, selbst eine Bewerbung zu schreiben. Und dass es einfach nicht sein kann, dass manche Angestellten in der Agentur diese Eltern dann wieder wegschicken, ohne denen dabei zu helfen, diese Anträge oder Formulare auszufüllen... die Frau stimmt mir NICHT zu, und sagt:
„Oh nein, Anträge ausfüllen, das machen wir grundsätzlich nicht. Dafür sind wir nicht zuständig.“ Ich frage die Frau, wer denn dann dafür zuständig ist, wenn die Antragsteller das nicht selbst auf die Reihe bekommen. Die Frau meint, dann müssten die Antragsteller halt zu irgendjemand gehen, der ihnen dabei behilflich sein kann. Ich frage die Frau, wer das denn wohl sein kann, wenn das Problem mancher Leute genau das ist, dass sie nämlich niemand kennen, der ihnen dabei behilflich sein kann... Und die Leute kommen dann halt zu mir, ich bin zwar auch nicht zuständig, aber ich bin ja dann so blöd und schicke keinen weg und so... Ich mach’s dann halt und fülle es mit den Leuten aus, aber das kann’s ja irgendwie auch nicht sein. Die Frau weiß da leider auch keinen Rat, außer, dass ich das vielleicht mal direkt und persönlich mit meiner örtlichen Agentur klären soll. Ich frage sie: „Ach, oh je, ich ging jetzt davon aus, dass Sie von der örtlichen Agentur in Y-Stadt sind. Das sind Sie gar nicht? Sie sitzen in irgendeinem Service-Zentrum ganz wo anders?“ Richtig, die freundliche Frau sitzt in einem Service-Zentrum weit-weit weg, in unserer Landeshauptstadt.
„Sehen Sie“, sage ich zu der Frau, „dann bringt es wahrscheinlich auch nix, wenn ich Ihnen jetzt mitteile, dass meine örtliche Agentur unter einer falschen Nummer im Telefonbuch steht.“ Die Frau meint, „Wie bitte? Das habe ich jetzt nicht ganz verstanden.“ – „Machen Sie sich nichts draus“, meine ich, „vor der Durchwahl der örtlichen Agentur steht die Vorwahl unserer Kreisstadt, und wenn man das so wählt wie es im Telefonbuch steht, dann kriegt man eben kein Anschluss unter dieser Nummer. Aber ich war ja glücklicherweise schlau genug, und habe gemerkt, dass das ein Druckfehler im Telefonbuch sein muss. Sonst könnte ich ja jetzt nicht mit Ihnen telefonieren.“ (Auch schizo, oder? Da lasse ich die Vorwahl weg und lande dann noch weiters weg, in einer ganz, ganz anderen Stadt).
Übrigens kann die Frau mir in der Angelegenheit von Herrn XY natürlich auch nicht weiterhelfen, da muss Herr XY mit seinem Berater von der ARGE vor Ort sprechen.
Daher beenden die Frau und ich unser Telefonat in freundlichem Einvernehmen.
Meine Geduld geht so langsam allerdings doch zur Neige. Außerdem habe ich auch noch andere Dinge zu tun an diesem schönen Donnerstag. Ich schreibe also handschriftlich ein Brieflein folgenden Inhaltes:
„Sehr geehrte Damen und Herren,
Herr XY war vorhin bei Ihnen und wollte Ihnen mitteilen, dass er seit gestern 32 Stunden pro Woche arbeitet. Herr XY braucht also keine „Mitteilung über die Zuverdienstgrenzen“, sondern m.E. braucht Herr XY das Formular ÄNDERUNGSMITTEILUNG und das Formular VERDIENSTBESCHEINIGUNG (Formulare 2.1 und 2.2), wir wollen nämlich vermeiden, dass Herr XY für den Rest des Monats zu Unrecht Leistungen bezieht und nächsten Monat dann Leistungen zurückzahlen muss. Falls Sie noch Fragen haben, erreichen Sie mich unter ......
MfG , usw. usw. Blablabla“
Bissige Kommentare (wovon mir genügend eingefallen wären) habe ich mir verkniffen (irgendwie bin ich dann doch manchmal noch halbwegs professionell).
Das Brieflein habe ich an das Formular „Mitteilung über die Zuverdienstgrenzen“ rangetackert und Herrn XY noch mal zur Agentur geschickt.
15 Minuten später steht Herr XY wieder bei uns vor der Türe, mit den benötigten Formularen.
Na also. GEHT DOCH.
Eher aus Spaß frage ich Herrn XY beiläufig: Und? Haben die Leute bei der Agentur sich entschuldigt?
Herr XY: Wie, entschuldigt?
Ich: Naja, hat der Mann gesagt: Entschuldigung, dass ich Ihnen vorhin das falsche Formular mitgegeben habe, Herr XY?
Herr XY: Nix entschuldigt. Der Mann hat geschimpft.
Ich: Wie, geschimpft?
Herr XY: Der Mann hat gefragt, warum ich so spät komme. Die Agentur hat seit 5 Minuten geschlossen. Und ich soll morgen wiederkommen.
WIE BITTE??????
Also irgendwo ist dann aber auch mal gut, ODER?????
Herr XY blieb aber standhaft und ließ sich nicht abwimmeln, so dass der Angestellte bei der Agentur dann doch noch die drei benötigten Formulare rausrücken musste. Die habe ich dann zusammen mit Herrn XY ausgefüllt, und damit ist dann hoffentlich seiner Meldepflicht Genüge getan.
ACH JA, übrigens, bevor ich das vergessen: Herr XY ist schwer krank. Der müsste per Gesetz eigentlich überhaupt nicht arbeiten. Aber Herr XY ist derart bemüht, sich hier anzupassen und alles richtig zu machen, dass er bloß um alles in der Welt kein Arbeitslosengeld mehr beziehen will, solange er das noch irgendwie auf die Reihe kriegt...
Wahrscheinlich arbeitet er sich jetzt zu Tode...