Dieses Thema ist in dem
Bezug interessant, was das gesellschaftliche Miteinander betrifft.
Der Eingangsbeitrag mit seiner Wucht an positiven Erinnerungen redet nicht nur alle negativen Aspekte zunichte, sondern erschwert es tatsächliche negative Erlebnisse mit einer angemessenen Ernsthaftigkeit zu begegnen.
Es gibt verschiedene Ursachen dafür. Eines ist das Alter, in dem die Kur erlebt wurde. Jüngere haben meist wenig bis keine Erinnerungen. Ältere meist nur positive. Bei denen dazwischen war einerseits die Wahrnehmung noch sensibel genug und andererseits das Erinnerungsvermögen schon groß genug.
Die historischen Wurzeln, Kinder ohne ihre Eltern zu einem betreuten Aufenthalt zu schicken, liegen im 19. Jahrhundert in England und wurden von Deutschland übernommen. Damals war es vorwiegend Tuberkulose und deren Vorbeugung. Das gab es auch für Erwachsene. Davon zu unterscheiden sind Ferienlager, die erst später sowie vorwiegend in der DDR aufkamen.
Die Landverschickung gab es schon in der Weimarer Republik. Dabei mussten die Kinder auf dem Land bei der Ernte helfen. Es war eine Art Kinderarbeit, aber wurde so nicht betitelt. Auch da hatten die Kinder sehr unterschiedliche bis konträre Erlebnisse und Erinnerungen. Es gab auch Todesfälle, die als Kollateralschäden angesehen wurden. Für die Landverschickung war keine medizinische Empfehlung notwendig. Die sogenannte Kinderverschickung wurde ohne Unterbrechung bis in die 1990er Jahre betrieben, jedoch ab den 1960er Jahren vermehrt nur noch als Kur. Mit Ausnahme von West-Berlin. In der BRD wurden auch die Kuraufenthalte Verschickung genannt, während sie in der DDR bei ihrem tatsächlichen Namen genannt wurden.
Es gab einige Zeit nach 1945 noch Kinderverschickungen/Kuren ins politisch gegnerische Land. Mit Zunahme der politischen Konflikte nahm das ein Ende, obwohl versucht wurde daran festzuhalten, auch unter dem verdeckten Aspekt der Einflussnahme.
Die häufigste medizinische Empfehlung war vor 1945 Tuberkulose (Vorbeugung) und auch Untergewicht, und danach vorwiegend Untergewicht. Neben dieser gab es weitere, wie bereits erwähnt Asthma und Neurodermitis. Die Kinderkurheime der DDR (und auch BRD) im Ausland sind nicht vergleichbar mit denen in der BRD und DDR. Da gab es diese ansonsten praktizierte Strenge nicht, oder viel weniger. Da ging es tatsächlich um das Wohl der Kinder. Bei den inländischen Kinderkuren ging es nicht um das Kinderwohl, sondern um eine Abfertigung, Busweise/Zugweise, 3-6-wochenweise, im Akkord.
Eine Kur ist kein Urlaub. Sie ist auch kein Ferienlager, auch wenn es da auch Lagerordnungen gibt. Die Kurordnungen sind jedoch strenger. Manchen macht eine strengere
Erziehung nichts aus, sowie gibt es sogar solche, die das befürworten und es gerne etwas strenger haben. Andere sind hingegen sensibel und werden dadurch verstört. Hier geht die gesellschaftliche Spaltung schon los, wenn die sozusagen Härteren keine Rücksicht und Empathie für die Sensibleren aufbringen. Das wissen die Erzieher und nutzen die Situation.
Bei einem Kinderkuraufenthalt sind die Erziehungsberechtigten und somit diejenigen, die für das Wohl des Kindes verantwortlich sind, nicht die Eltern, sondern die Erzieher. In den Anfängen der Kinderkuren galt die Doktrin, von Anfang an Strenge zeigen. Das führt dazu, dass die Kinder nicht zusammenhalten werden, sondern jedes auf sich allein gestellt sein wird. Damit erlangen die Erzieher die Macht über die Kinder. Das ist eine sehr alte, veraltete, Umgangsweise mit Kindern.
Diese Umgangsweise führt exakt zu solchen Erinnerungs-/Erlebnisberichten, wie sie hier zu lesen sind. Die absolute Ausnahme sind dabei Berichte von Freundschaften, die nicht nur anschließende Brieffreundschaften waren. Denn es galt, Freundschaften unter den Kindern erzieherisch zu vermeiden. Der Grund liegt exakt in dem, was hier in dieser Diskussion passiert ist, dass die Erlebnisberichte der sensibleren Kurkinder als unglaubwürdig dargestellt werden. Was damit tatsächlich getan wird, ist den meisten gar nicht bewusst. Die Erzieher sowie die Erziehungsmethoden werden in Schutz genommen. Sie sind somit nicht belangbar. Die Erziehungsmethode greift also auch noch nach der Kur, bis in alle Zeiten. Bloß keine Sympathie mit den sensibleren Kindern.
Aus heutiger Sicht ... obwohl es bis in die 1990er Jahre bis zur endgültigen Einsicht dauerte ... sind Kuren für Kinder ohne tatsächliche Erziehungsberechtigte nicht mehr erlaubt.
Was war so schlimm an den Kuren? Dass Kinder keine Widerworte leisten durften. Alle wurden gleich behandelt. Dem Kind, dem die Kaltwasserkuren gefielen, das brachte und bringt bis heute kein Verständnis dafür auf, dass es anderen nicht nur nicht gefallen hat, sondern es gegen ihren Willen an ihnen angewandt wurde. Das Kind, das stets hungrig und nicht wählerisch war, brachte und bringt bis heute kein Verständnis dafür auf, dass andere nicht alles essen und schon gar nicht über den eigenen Hunger hinaus. Dem Kind, dem die Strenge nichts ausmachte, brachte und bringt bis heute kein Verständnis dafür auf, dass es anderen seelisches Leid zugefügt hat. Die Kinder sind weiter isoliert, womit es ermöglicht wird, den sensibleren kein Gehör und schon gar nicht einen Glauben zu schenken. Was weiterhin erwünscht ist, so wie damals schon, sind rein positive Berichte. Denn diese sollen nicht durch negative beeinflusst werden. Somit haben die sensibleren Kinder seit damals weiterhin das Problem isoliert zu bleiben und folglich keine Anerkennung zu erlangen, denn die gilt es zu unterdrücken. Dabei bemerken die Kinder, die nur positive Erinnerungen haben, sowie die negativen als positive oder nicht so schlimm deuten, gar nicht, dass ihr Handeln weiterhin eine Folge der Erziehung der Kinderkur ist.
Bearbeitet von melibi am 12.08.2023 22:01:39