@ CracklinRosie:
Ich selbst habe bis zu meiner Pensionierung im Verlauf meines Berufslebens an 5 verschiedenen Schulen gearbeitet, das von Dir geschilderte Verhalten gegenüber Schülern fand an keiner der mir bekannten Schulen statt. Im Gegenteil: im Verdachtsfall -gleichgültig von welcher Seite er geäußert wurde- wurde vonseiten und in Zusammenarbeit der Schulgremienvorsitzenden (Eltern- Lehrer-, Schülervertreter sowie der Schulleitung, also zunächst im kleinen Kreis, der auch noch der Konferenzschweigepflicht unterlag) evtl. unter Hinzuziehen eines Sozialpädagogen und eines/er Schulpsycholog*in versucht, dem Problem auf die Spur zu kommen. Dass zunächst versucht wird, das Problem schulintern zu lösen und aus der Öffentlichkeit zu halten, hat nichts damit zu tun, dass Probleme solcher Art unter den
Tisch gekehrt werden sollen, um die Schule makellos dastehen zu lassen, sondern damit, dass der Ruf eines Menschen allzuschnell ruiniert ist (sowohl eines Schülers als auch eines Lehreres/einer Lehrerin), selbst, wenn sich herausstellen sollte, dass das Problem gar keines war.
Auch an einer der mir bekannten Schulen wurde der Verdacht, dass Kollegen sich Schülerinnen unnötig stark nähern, einige Male laut -vor allem im Sportunterricht. Ein Kollege wurde daraufhin aus dem Fach Sport ganz herausgenommen, bekam nur noch Stunden in seinem Zweitfach, das keinen Körpereinsatz brauchte, zugewiesen, zudem eine Verwarnung in seiner Personalakte. Damit ging die Schule offen um, eine Anfrage der Tagespresse zu diesem Vorwurf wurde offen beantwortet (allerdings ohne Namensnennung des Kollegen und der betreffenden Schülerin).
Ich selbst hätte einen Teufel getan, eine Schülerin oder einen Schüler, die mich bezichtigen, ihnen gegenüber ungerecht geurteilt zu haben, auszugrenzen, schlechter zu beurteilen o.ä.. Ganz im Gegenteil - ich hätte mein Verhalten diesem Schüler gegenüber noch stärker auf Korrektheit überprüft. Die Mehrzahl meiner Kolleginnen und Kollegen stimmten mit mir in dieser Einstellung überein.
Die Zeiten, in der Lehrer "Macht" haben und diese gnadenlos gegenüber Schülern demonstrieren, sind lange vorbei. Heute steht man in diesem Beruf immer mit mindestens einem halben Bein im Gefängnis, vor allem, wenn man als Lehrer bereits ist, sich nicht nur auf Unterricht im Klassenzimmer zu beschränken, sondern mit Schülern ins Leben geht, sich auf Lernen außerhalb des Klassenzimmers einlässt.
Dass Schüler*innen durchaus verzerrte Wahrnehmungen haben, diese in der Welt herumtratschen, was dank Twitter, WhatsApp etc., und dies in den letzten Jahren immer rufschädigender für die betreffenden Lehrer/Schulen ist, dürfte inzwischen bekannt sein.
Mir ist ein einziges Mal passiert, dass ich in den rufschädigenden Focus einer Schülerin gekommen bin, wobei ich bis heute nur vermuten kann, weswegen.
Ich war als Begleit-Lehrerin mit einer Klasse 9 auf Klassenfahrt gefahren, die Schüler*innen wünschten sich einen zweiten Besuch in einer Schülerdisko. Der Klassenlehrer war nicht bereit, mit der Klasse noch einmal hinzugehen, so einigten wir uns, dass ich einen Teil der Klasse zur Disco begleitete. Mir fiel das nicht leicht, da mich an diesem Tag ein starker Migräneanfall quälte, den ich nur mit Medikamenten einigermaßen ertrug.
Während des Disco-Aufenthaltes trank ich nur Mineralwasser, ließ mir dazu ein Glas bringen, weil ich nicht gerne aus der Flasche trinke. Die Kellnerin bracht mir ein Weinglas, was mir in diesem Moment als völlig unbedeutend erschien. Auf dem Rückweg von der Disco musste ich einige trödelige Schülerinnen antreiben, damit die Gruppe, deren Aufsicht mir allein oblag, sich nicht zu weit auseinanderzog und ich evtl. einige der Mädchen, die schon gemault hatten, dass wir "viel zu früh die Disco verließen", aus den Augen verlor.
Einige Tage nach der Rückkehr von der Klassenfahrt bat mich der Schulleiter um ein Gespräch und konfrontierte mich mit einer Elternbeschwerde, ich wäre während der Klassenfahrt betrunken gewesen. Da ich wegen meiner Migräneanfälle ohnehin immer schon sehr wenig Alkohol getrunken habe und auch heute noch trinke, war ich völlig perplex über diese Anschuldigung. Im Gespräch mit der Schulleitung und meinem Kollegen, dem Klassenlehrer, kristallisierte sich heraus, dass sich die Anschuldigung einer Schülerin genau auf diesen Disco-Abend bezog. Es war eine der Schülerinnen, die ich auf dem Heimweg von der Disco zu etwas schnellerem Schritt gebeten hatte.
Da mein Kollege gegenüber der Schulleitung bestätigte, dass ich den gesamten Tag über schon an
Migräne gelitten hatte, außerdem in meiner Personalakte meine Migräneanfälligkeit amtsärztlich dokumentiert waren, ich darüberhinaus im Kollegium dafür bekannt war, keinen Alkohol zu trinken, war ich für die Schulleitung aus dem Vorwurf der Eltern ´raus. Aber: Eltern und Schülerin mussten sich einem persönlichen Gespräch mit mir stellen, der Schülerin wurde von der Schulleitung auferlegt, vor der gesamten Klasse in meiner Gegenwart ihre Behauptungen zurückzunehmen und sich bei mir zu entschuldigen. Was sie dann auch tat.
Hätte ich ihr in Folge ihr Verhalten nachgetragen, indem ich z.B ihre Unterrichtsleistungen überkritisch bewertete, hätte ich mich ins Unrecht gesetzt. Dies habe ich in meiner gesamten Berufstätigkeit versucht zu vermeiden. Lieber überkorrekt und das mit schlechtem Bauchgefühl (auch Lehrer sind Menschen mit Gefühlen!), als gutes Bauchgefühl, dafür aber nicht korrekt gegenüber Schülern und Lehrern! Es ist ein sehr schmaler Grat, auf dem man als Lehrer balancieren muss!
Bearbeitet von whirlwind am 28.09.2021 10:25:20