Hallo Wirsing-Fans,
in meiner Gegend (zwischen Taunus und Westerwald) gibt es eine Spezialitaet, auf die ich sonst nirgends gestossen bin.
Es handelt sich um ein mit Milchsaeure haltbar gemachtes Gemuese.
Das Kraut hat keinen einheitlichen Namen. Es wird Scharpkraut (von "Scharf-Kraut"), Scharpmus, Schappes oder aehnlich genannt, boese Zungen nennen es auch "Fusslappengemuese".
Das Rezept dazu ist schnell geschildert:
Weisskraut- und Wirsingkoepfe 50:50 roh in einzelne Blaetter zerlegen.
Die Blaetter in handtellergrosse Stuecke reissen.
Diese Stuecke gemischt mit Salz (20 g Salz pro kg Kraut) in Steinguttoepfe oder Weckglaeser fuellen, SEHR FEST zusammenpressen und luftdicht abschliessen (Deckel mit Wasserrand beim Steinguttopf; Deckel mit Gummiring und Klammer oder Drahtbuegelverschluss beim Weckglas).
Dann ohne zu kochen kuehl lagern.
Bald beginnt, wie bei der Produktion von Sauerkraut, eine Milchsaeure-Gaerung.
Bei Glaesern kann in dieser Anfangszeit Fluessigkeit austreten.
Aber der Geschmack des fertigen Produkts nach einigen Wochen ist voellig unterschiedlich von Sauerkraut, das nach der gleichen Methode, aber nur aus Weisskraut, hergestellt wird.
Beim Oeffnen des Steinguttopfes oder des Glases schlaegt einem ein "strenger Geruch" entgegen. Viele Leute behaupten, dass das Kraut stinkt (Silogeruch).
Es stinkt auch noch im
TopfIn etwas Fett geduenstet (nicht zerkochen, soll Biss haben), mit wenig Mehl leicht gebunden und nach Zugabe von wenigen grob zerdrueckten gekochten Kartoffeln und Pfeffer (und Salz) ist aus dem "Stinkegemuese" eine lukullische Kostbarkeit geworden.
Fuer dieses Gemuese hat mein Grossvater einen Spruch gebraucht, den er sonst bei seinen Weinen den edelsten Tropfen vorbehalten hatte: "Das ist, als wenn einem ein Engelchen auf die Zunge pinkelt!" :rolleyes:
Urspruenglich wurde das Gemuese beim Schlachtfest gereicht, zusammen mit Fleisch aus dem Wurstkessel und frischen Kochwuersten.
Aber auch sonst waehrend des Winters und des Fruehjahrs, als es frueher kein frisches Gemuese gab, kam es "aus dem Fass" (Steinguttopf) auf den Teller, mit saftigem Kochfleisch vom Schwein oder mit frischer (ungeraeucherter) Wurst (Blutwurst, Leberwurst, Presskopf oder Schwartenmagen) oder aber auch mit Bratwurst oder Frikadellen (Faschierte Leiberl).
Auch heute noch wird Scharpkraut in laendlichen Haushalten im Herbst produziert und mit grossem Genuss verzehrt. Die letzten Reste, die man auch einfrieren kann, reichen oft bis in den Sommer.
Und dann wartet man sehnsuechtig auf das naechste Scharpkraut im Spaetherbst.
Gruesse
Hartmut